Krieg soll Angst und das Gefühl der Ohnmacht erzeugen. Angesichts der anrollenden
Militärmaschine scheint jeder Widerstand zwecklos. Es sieht so aus, als sei es Absicht, daß
die Bush- und Blair-Regierungen ihren Krieg propagandistisch so schlecht vorbereiten. So,
als ob sie uns sagen wollten: Wir brauchen keine Rechtfertigung mehr, eure Proteste
beeindrucken uns nicht.
Krieg ist gut für die Religion. Wenn man sonst schon nichts machen kann, dann bleibt
immer noch Gott, egal welcher. Ob es der Papst ist, der diesmal auf der Friedenswelle reitet
oder der Islam, der den Menschen einen Ausweg ins Paradies anbietet. Kriege wie dieser
werden die Bedeutung der Religion in Teilen der Welt, in denen dieser Wahn bereits
nachgelassen hatte, wieder stärken.
Krieg erzeugt Nationalismus, Ethnizismus und Haß. Aus der Angst vor der Willkür der
Mächtigen speist sich nicht nur Rassismus als Haß auf die jeweils anderen Ohnmächtigen,
seien es die Flüchtlinge, die Migranten, die Jugendlichen, die Arbeitslosen... sondern die
nationale oder ethnische Zugehörigkeit werden wieder zur Kennzeichnung von jeweils
Freund oder Feind.
Krieg verroht in dramatischer Weise die Gesellschaft. Ganz selbstverständlich führt er
massenhaften Mord und Totschlag ein. Militarisierung, Polizeipräsenz, Festigung der
Grenzen, Überwachung werden zum kleineren Übel. Krieg stärkt Staat nicht nur mit der
Einführung von offen erklärtem oder nur de facto ausgeübtem Kriegsrecht auf allen Seiten,
sondern er fördert die Ansicht, daß nur die Regierung die Sache regeln kann: entweder wird
an den Staat appelliert ("Gerhard, bleib hart") oder der Staat wird als Retter seiner
Bevölkerung unterstützt oder herbeigesehnt.
Krieg rechtfertigt den kapitalistischen Frieden. Ein Frieden, in dem jeden Tag Hunderte
den kleinen Kriegen zum Opfer fallen, Tausende verhungern oder an heilbaren Krankheiten
sterben. Ein Frieden, in dem wir nur als Arbeitskräfte oder Konsumenten respektiert werden
und jeden Tag gegen unsere Bedürfnisse leben müssen.
Aber: Kriege sind auch für die Herrschenden ein gefährliches Spiel. Im Krieg werden alle
Fragen der Existenz und des Glücks neu gestellt. An die 20 Millionen Menschen oder
mehr haben am 15. Februar weltweit dagegen protestiert: das ist eine Form der
Globalisierung, die sich die Herrscher der Welt sicher nicht wünschen. Wenn das Leben von
vielleicht Hunderttausenden in Frage gestellt wird, dann kann unsere Antwort nur sein: Wir
stellen unser bisheriges Leben in Frage!
Von der Zunahme von regionalen Krisen (um nur ein paar der zur Zeit wichtigsten zu
nennen: Philippinen, Afghanistan, Kaschmir, Tschetschenien, Westafrika, Argentinien,
Venezuela, Bolivien...), regionaler Wirtschaftskrisen (Rußland, Indonesien, Türkei...), einer
sich verschärfenden allgemeinen Wirtschaftskrise bis hin zu den wachsenden
Migrationsströmen: die aus der Zeit des "Kalten Krieges" überkommenen poltischen
Strukturen taugen nicht mehr, um geordnete Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse
aufrecht zu erhalten.
Die Sowjetunion (ebenso wie die Militärdiktaturen in Asien, Afrika oder Lateinamerika)
hatte ihre Leute einigermaßen im Griff. Alle diese Diktaturen funktionierten unter
Verhältnissen, in denen die Bauern die Mehrheit der Bevölkerung stellten. Das ist die
wesentliche Veränderung der letzten zwanzig Jahre: Heute leben die meisten Menschen in
den Städten und haben nichts als ihre Arbeitskraft. Aber auch Bedürfnisse, Hoffnungen und
Wünsche, die weiter reichen als bis zur nächsten Ernte. Deshalb sind die meisten dieser
Regimes im letzten Jahrzehnt beseitigt worden, fast immer durch Aufstände der städtischen
Bevölkerung. Andere, bis hin zum Regime in China, verlieren immer mehr die Kontrolle
über ihre Bevölkerung. Einige Staaten sind schlicht zusammengebrochen, wie Afghanistan,
Somalia, Zentralafrika.
Überall werden Sicherheitsgesetze verschärft ("Antiterror"-Gesetze in Europa und anderswo,
"Homeland-Security-Act" in den USA), werden Polizei, Nachrichtendienste und Militär auf-,
bzw in Richtung "innerer Sicherheit" umgerüstet und mit neuen Befugnissen ausgestattet. Die
ersten Opfer sind Zuwanderer. Aber es zeigt, daß die Fähigkeit des Staates, uns
vorzuschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben, überall nachgelassen hat.
Im Rahmen der bisherigen Weltordnung war und ist die Aufgabe der Staaten die Eingrenzung
der gesellschaftlichen Widersprüche und des Klassenkampfs auf das staatliche Territorium
und auf Verhandel- und Regulierbarkeit. Neben den Nationalstaaten haben auch ihre
Gegenparts bei der sozialen Vermittlung und Regulierung, wie Nationale
Befreiungsbewegungen, Kommunistische Parteien und oft auch Gewerkschaften an Einfluß
und Bedeutung verloren.
Kein Wunder also, daß die Rolle der Souveränität der Nationalstaaten im "Völkerrecht" an Gewicht verliert, daß nicht nur die US-Regierung, sondern auch die Europäische Union die Verhältnisse dieser Welt als Problem einer Weltinnenpolitik begreifen. Nach dem Verschwinden der meisten kleinen Diktatoren müssen nun die Herrscher der Welt die Sache immer öfter selbst in die Hand nehmen.
Die Geschichte des Irak selbst mag das verdeutlichen: das Regime Saddam Husseins wurde
nach der Revolution im Iran 1979 massiv unterstützt, damit er den Iran jahrelang mit Krieg
überziehen konnte. So endete die soziale Revolution im Iran in einer Religions-Diktatur.
Danach geriet das irakische Regime selbst ins Wanken und der Irak wurde anläßlich seiner
Annektierung Kuwaits angegriffen. Mit dem Ergebnis, daß hunderttausende umkamen,
Saddam Hussein aber wieder fest im Sattel saß. Jetzt deutet viel darauf hin, daß alle
wichtigen Diktaturen in der Golfregion (Irak, Saudi-Arabien, der Iran und andere) instabil
geworden sind. Wer die Verhältnisse aber nicht mehr im Griff hat, ist fällig.
Die neueste Propaganda-Wendung lautet, daß die US-Truppen dem Irak die "Demokratie"
bringen werden. Vor dem Krieg kann man viele Drohungen ausstoßen oder Versprechungen
machen. Nach dem Krieg ist das Gedächtnis oft kurz: die US-Regierung hatte bei der Vorlage
des Staatshaushalts 2003 schlicht vergessen, einen Posten "Hilfe für Afghanistan"
vorzusehen... (Der amerikanische Senat hat dann von sich aus ein paar Millionen bewilligt.)
Es können nicht überall US-Militärverwaltungen oder UN-Protektorate eingerichtet werden.
Im Sinne von "Teile und Herrsche" bleibt es auch in einer globalisierten Welt notwendig,
Krisen einzugrenzen und Kämpfe auf den Staat zu orientieren. Die Nationalstaaten und der
positive Bezug darauf, der Nationalismus, sind deshalb noch lange nicht tot.
Wie soll die Welt im Interesse ungehinderter kapitalistischer Verwertung neu geordnet
werden? Und wer soll dies tun? Die USA als stärkste Militärmacht? Die UN, das "alte
Europa"? Alle zusammen arbeitsteilig? Das ist völlig offen und auch innerhalb der
kapitalistischen Nomenklatura umstritten. Bei den Meinungsverschiedenheiten im UN-Sicherheitsrat geht es nicht um Krieg oder Frieden: Rußland führt Krieg in Tschetschenien,
Frankreich hat in der Elfenbeinküste militärisch interveniert. Und Deutschland unterstützt den
Aufmarsch im persischen Golf durch den Einsatz der Bundeswehr zum Schutz von US-Militäreinrichtungen, Gewährung von Überflugsrechten, Entsendung von Awacs-Personal
und Fuchs-Spürpanzern. Es gibt jedoch unterschiedliche Auffassungen darüber, welche
Dosierung von militärischen, politischen und wirtschaftlichen Mitteln zur Herstellung stabiler
Herrschaftsverhältnisse notwendig ist. In Afghanistan hat die US-Regierung ihre
Militärmacht zum Einsatz gebracht, um anschließend das Land den Kriegsherren zu
übergeben, während Deutschland immer noch vergeblich versucht, dort so etwas wie
staatliche Ordnung aufzubauen.
Dieser Krieg ist wie immer auch eine Antwort auf innenpolitische Schwierigkeiten. In den
USA ist der Kapitalismus nicht nur wirtschaftlich (Zusammenbruch der New Economy,
Verschuldung nach außen und innen, Handelsbilanzdefizit, steigende Arbeitslosigkeit,
zunehmende Armut) in der Krise, sondern auch politisch-moralisch. Nach dem Enron-Skandal redete sogar der Chef der New Yorker Börse NYSE vom "Terrorismus in den
Aufsichtsräten".
Die Bewegung gegen den Krieg ist auch der Kampf gegen den elenden Frieden in der
Golfregion. Es ist unser Beitrag, damit sich die Menschen in der Golfregion selbst ihre
Ausbeuter und Diktatoren, ihre Saddam Husseins, ihre Scheichs, ihre Mullahs ebenso wie die
internationalen Ölmultis vom Hals schaffen können.
Solange sich Menschen ausbeuten und unterdrücken lassen, solange werden Ausbeutung und
Zwang zur Arbeit mit Gewalt und Krieg gesichert und organisiert werden. Solange Menschen
die Logik des Krieges akzeptieren, ihre Ansprüche reduzieren, in Angst und Ohnmacht
verfallen, sich Religion, Staat oder Volk zuwenden, solange wird es Kriege geben.
Keine Gebete, Fahnen oder Appelle!
Wir haben besseres zu tun: Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.
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März 2003