(in English)

Wozu sind Kriege gut?

Krieg ist immer Krieg gegen die Ansprüche, die Wünsche, die Hoffnungen und Kämpfe der Menschen. Nicht nur im Kriegsgebiet. Es hatte wieder begonnen: die Hoffnungen auf eine bessere Welt. Diktaturen sind von den Menschen beseitigt worden, von Südkorea über Südafrika bis hin nach Indonesien. Bewegungen sind entstanden, die die Herrschaft des Geldes und des Kapitals in Frage stellen - von den Demonstrationen gegen den Internationalen Währungsfond und die Weltbank bis hin zu den ArbeiterInnen- und Bauernkämpfen in Asien, Afrika und Nord- und Südamerika.. Hunderte Millionen Menschen sind in die Städte gezogen auf der Suche nach dem Glück, das ihnen die kapitalistische Propaganda versprochen hat. Und viele Millionen sind weltweit auf Achse, um wenigstens ansatzweise ein bißchen Wohlstand abzukriegen. Krieg jedoch verändert Maßstäbe. Man ist schon froh, wenn es nicht schlechter wird...

Krieg soll Angst und das Gefühl der Ohnmacht erzeugen. Angesichts der anrollenden Militärmaschine scheint jeder Widerstand zwecklos. Es sieht so aus, als sei es Absicht, daß die Bush- und Blair-Regierungen ihren Krieg propagandistisch so schlecht vorbereiten. So, als ob sie uns sagen wollten: Wir brauchen keine Rechtfertigung mehr, eure Proteste beeindrucken uns nicht.

Krieg ist gut für die Religion. Wenn man sonst schon nichts machen kann, dann bleibt immer noch Gott, egal welcher. Ob es der Papst ist, der diesmal auf der Friedenswelle reitet oder der Islam, der den Menschen einen Ausweg ins Paradies anbietet. Kriege wie dieser werden die Bedeutung der Religion in Teilen der Welt, in denen dieser Wahn bereits nachgelassen hatte, wieder stärken.

Krieg erzeugt Nationalismus, Ethnizismus und Haß. Aus der Angst vor der Willkür der Mächtigen speist sich nicht nur Rassismus als Haß auf die jeweils anderen Ohnmächtigen, seien es die Flüchtlinge, die Migranten, die Jugendlichen, die Arbeitslosen... sondern die nationale oder ethnische Zugehörigkeit werden wieder zur Kennzeichnung von jeweils Freund oder Feind.

Krieg verroht in dramatischer Weise die Gesellschaft. Ganz selbstverständlich führt er massenhaften Mord und Totschlag ein. Militarisierung, Polizeipräsenz, Festigung der Grenzen, Überwachung werden zum kleineren Übel. Krieg stärkt Staat nicht nur mit der Einführung von offen erklärtem oder nur de facto ausgeübtem Kriegsrecht auf allen Seiten, sondern er fördert die Ansicht, daß nur die Regierung die Sache regeln kann: entweder wird an den Staat appelliert ("Gerhard, bleib hart") oder der Staat wird als Retter seiner Bevölkerung unterstützt oder herbeigesehnt.

Krieg rechtfertigt den kapitalistischen Frieden. Ein Frieden, in dem jeden Tag Hunderte den kleinen Kriegen zum Opfer fallen, Tausende verhungern oder an heilbaren Krankheiten sterben. Ein Frieden, in dem wir nur als Arbeitskräfte oder Konsumenten respektiert werden und jeden Tag gegen unsere Bedürfnisse leben müssen.

Aber: Kriege sind auch für die Herrschenden ein gefährliches Spiel. Im Krieg werden alle Fragen der Existenz und des Glücks neu gestellt. An die 20 Millionen Menschen oder mehr haben am 15. Februar weltweit dagegen protestiert: das ist eine Form der Globalisierung, die sich die Herrscher der Welt sicher nicht wünschen. Wenn das Leben von vielleicht Hunderttausenden in Frage gestellt wird, dann kann unsere Antwort nur sein: Wir stellen unser bisheriges Leben in Frage!

Wozu ist dieser Krieg gut?

Es wird viel spekuliert über die Motive der US-Regierung. Öl, Ölpreis, Kreuzzug, Geostrategie, Dollarkrise, Weltordnung. Das alles gehört dazu. Jenseits der möglicherweise sehr kruden Gedankenwelt eines George W. Bush ist es wohl am besten, wir schauen uns die aktuelle Weltlage und vor allem die Entwicklung seit der Erklärung einer "Neuen Weltordnung" durch Bush Senior vor 12 Jahren an. Nur so kann die Dringlichkeit verstanden werden, mit der die US-Regierung fast panisch von einem Krieg zum nächsten zieht.

Von der Zunahme von regionalen Krisen (um nur ein paar der zur Zeit wichtigsten zu nennen: Philippinen, Afghanistan, Kaschmir, Tschetschenien, Westafrika, Argentinien, Venezuela, Bolivien...), regionaler Wirtschaftskrisen (Rußland, Indonesien, Türkei...), einer sich verschärfenden allgemeinen Wirtschaftskrise bis hin zu den wachsenden Migrationsströmen: die aus der Zeit des "Kalten Krieges" überkommenen poltischen Strukturen taugen nicht mehr, um geordnete Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse aufrecht zu erhalten.

Die Sowjetunion (ebenso wie die Militärdiktaturen in Asien, Afrika oder Lateinamerika) hatte ihre Leute einigermaßen im Griff. Alle diese Diktaturen funktionierten unter Verhältnissen, in denen die Bauern die Mehrheit der Bevölkerung stellten. Das ist die wesentliche Veränderung der letzten zwanzig Jahre: Heute leben die meisten Menschen in den Städten und haben nichts als ihre Arbeitskraft. Aber auch Bedürfnisse, Hoffnungen und Wünsche, die weiter reichen als bis zur nächsten Ernte. Deshalb sind die meisten dieser Regimes im letzten Jahrzehnt beseitigt worden, fast immer durch Aufstände der städtischen Bevölkerung. Andere, bis hin zum Regime in China, verlieren immer mehr die Kontrolle über ihre Bevölkerung. Einige Staaten sind schlicht zusammengebrochen, wie Afghanistan, Somalia, Zentralafrika.

Überall werden Sicherheitsgesetze verschärft ("Antiterror"-Gesetze in Europa und anderswo, "Homeland-Security-Act" in den USA), werden Polizei, Nachrichtendienste und Militär auf-, bzw in Richtung "innerer Sicherheit" umgerüstet und mit neuen Befugnissen ausgestattet. Die ersten Opfer sind Zuwanderer. Aber es zeigt, daß die Fähigkeit des Staates, uns vorzuschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben, überall nachgelassen hat.

Im Rahmen der bisherigen Weltordnung war und ist die Aufgabe der Staaten die Eingrenzung der gesellschaftlichen Widersprüche und des Klassenkampfs auf das staatliche Territorium und auf Verhandel- und Regulierbarkeit. Neben den Nationalstaaten haben auch ihre Gegenparts bei der sozialen Vermittlung und Regulierung, wie Nationale Befreiungsbewegungen, Kommunistische Parteien und oft auch Gewerkschaften an Einfluß und Bedeutung verloren.

Kein Wunder also, daß die Rolle der Souveränität der Nationalstaaten im "Völkerrecht" an Gewicht verliert, daß nicht nur die US-Regierung, sondern auch die Europäische Union die Verhältnisse dieser Welt als Problem einer Weltinnenpolitik begreifen. Nach dem Verschwinden der meisten kleinen Diktatoren müssen nun die Herrscher der Welt die Sache immer öfter selbst in die Hand nehmen.

Die Geschichte des Irak selbst mag das verdeutlichen: das Regime Saddam Husseins wurde nach der Revolution im Iran 1979 massiv unterstützt, damit er den Iran jahrelang mit Krieg überziehen konnte. So endete die soziale Revolution im Iran in einer Religions-Diktatur. Danach geriet das irakische Regime selbst ins Wanken und der Irak wurde anläßlich seiner Annektierung Kuwaits angegriffen. Mit dem Ergebnis, daß hunderttausende umkamen, Saddam Hussein aber wieder fest im Sattel saß. Jetzt deutet viel darauf hin, daß alle wichtigen Diktaturen in der Golfregion (Irak, Saudi-Arabien, der Iran und andere) instabil geworden sind. Wer die Verhältnisse aber nicht mehr im Griff hat, ist fällig.

Die neueste Propaganda-Wendung lautet, daß die US-Truppen dem Irak die "Demokratie" bringen werden. Vor dem Krieg kann man viele Drohungen ausstoßen oder Versprechungen machen. Nach dem Krieg ist das Gedächtnis oft kurz: die US-Regierung hatte bei der Vorlage des Staatshaushalts 2003 schlicht vergessen, einen Posten "Hilfe für Afghanistan" vorzusehen... (Der amerikanische Senat hat dann von sich aus ein paar Millionen bewilligt.)

Es können nicht überall US-Militärverwaltungen oder UN-Protektorate eingerichtet werden. Im Sinne von "Teile und Herrsche" bleibt es auch in einer globalisierten Welt notwendig, Krisen einzugrenzen und Kämpfe auf den Staat zu orientieren. Die Nationalstaaten und der positive Bezug darauf, der Nationalismus, sind deshalb noch lange nicht tot.

Wie soll die Welt im Interesse ungehinderter kapitalistischer Verwertung neu geordnet werden? Und wer soll dies tun? Die USA als stärkste Militärmacht? Die UN, das "alte Europa"? Alle zusammen arbeitsteilig? Das ist völlig offen und auch innerhalb der kapitalistischen Nomenklatura umstritten. Bei den Meinungsverschiedenheiten im UN-Sicherheitsrat geht es nicht um Krieg oder Frieden: Rußland führt Krieg in Tschetschenien, Frankreich hat in der Elfenbeinküste militärisch interveniert. Und Deutschland unterstützt den Aufmarsch im persischen Golf durch den Einsatz der Bundeswehr zum Schutz von US-Militäreinrichtungen, Gewährung von Überflugsrechten, Entsendung von Awacs-Personal und Fuchs-Spürpanzern. Es gibt jedoch unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Dosierung von militärischen, politischen und wirtschaftlichen Mitteln zur Herstellung stabiler Herrschaftsverhältnisse notwendig ist. In Afghanistan hat die US-Regierung ihre Militärmacht zum Einsatz gebracht, um anschließend das Land den Kriegsherren zu übergeben, während Deutschland immer noch vergeblich versucht, dort so etwas wie staatliche Ordnung aufzubauen.

Dieser Krieg ist wie immer auch eine Antwort auf innenpolitische Schwierigkeiten. In den USA ist der Kapitalismus nicht nur wirtschaftlich (Zusammenbruch der New Economy, Verschuldung nach außen und innen, Handelsbilanzdefizit, steigende Arbeitslosigkeit, zunehmende Armut) in der Krise, sondern auch politisch-moralisch. Nach dem Enron-Skandal redete sogar der Chef der New Yorker Börse NYSE vom "Terrorismus in den Aufsichtsräten".

Gegen Krieg und Frieden!

Eine Friedensbewegung, die schon wieder Lösungen für Probleme sucht, um die es gar nicht geht, hat keine Perspektive. Wieder wird eine alternative Lösung für die Aufrechterhaltung der Ordnung gesucht. Vor dem letzten Golfkrieg hieß es "Embargo statt Krieg". Mit dem Ergebnis: Krieg und Embargo. Die Menschen im Irak haben das in den letzten zwölf Jahren mit hunderttausenden von Toten bezahlt. Heute heißt es "Inspektoren statt Krieg". Das heißt die Fortsetzung des Elends der irakischen Bevölkerung auf unbestimmte Zeit.

Die Bewegung gegen den Krieg ist auch der Kampf gegen den elenden Frieden in der Golfregion. Es ist unser Beitrag, damit sich die Menschen in der Golfregion selbst ihre Ausbeuter und Diktatoren, ihre Saddam Husseins, ihre Scheichs, ihre Mullahs ebenso wie die internationalen Ölmultis vom Hals schaffen können.

Solange sich Menschen ausbeuten und unterdrücken lassen, solange werden Ausbeutung und Zwang zur Arbeit mit Gewalt und Krieg gesichert und organisiert werden. Solange Menschen die Logik des Krieges akzeptieren, ihre Ansprüche reduzieren, in Angst und Ohnmacht verfallen, sich Religion, Staat oder Volk zuwenden, solange wird es Kriege geben.

Keine Gebete, Fahnen oder Appelle!

Wir haben besseres zu tun: Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.


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März 2003